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von Niki Vogt
Die RAND Corporation ist ein US-amerikanischer Thinktank, Recherche- und Analyse-Dienstleister und wird direkt vom US-Militär finanziert. Die Organisation wurde direkt nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet, um militärische Planung mit Forschung und Entwicklung zu verbinden, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Die Analysen und Schlussfolgerungen der Militärs und Wissenschaftler sind bekanntermaßen ohne jede Beschönigung, gnadenlos, illusionslos und knallhart faktenbasiert. Und immer in gepflegter, vollkommen un-emotionaler Sprache abgefasst. Man macht in der neuen Analyse keinen Hehl daraus, dass die Dinge sich geändert haben und ein naher Sieg des „Westens“ keineswegs mehr sicher ist. Ja, man schreibt sogar völlig nüchtern:
Die Diskussion über den Russland-Ukraine-Krieg in Washington wird zunehmend von der Frage beherrscht, wie er enden könnte.
Wie das auf einmal?
Mein letzter Artikel vom 1. Februar beschrieb die Entsendung der Fregatte „Admiral Gorschkow“ in den Westatlantik, wo die Russen eine eindrucksvolle Vorführung der Möglichkeiten des „tödlichsten Kampfschiffes der Welt“ ablieferten. Einzelheiten und hochinteressante Hintergründe dazu hier:
Eilmeldung! Russisches Kriegsschiff übt Hyperschallraketen-Abschuss vor US-Ostküste!
Und – sieh mal einer an, kurz nachdem die hochprofessionelle Aufführung erfolgreich über die Weltbühne gegangen ist, erscheint eine neue Lageeinschätzung besagter Rand Corporation. Natürlich ist Die „Admiral Gorschkow“ einige Zeit unterwegs gewesen, bis sie in gebührendem Abstand vor der Ostküste der USA auftauchte, man hatte also Zeit, das zu bewerten, was dieser Weckruf Russlands an die USA bedeutet. Es war auch keine Überraschung für die USA, die Möglichkeiten dieses Schiffes waren weltweit schon lange bekannt, Russland hielt damit keineswegs hinter’m Berg. Es ist wahrscheinlich schlicht die Geste, Zeitpunkt und Ort, was für die RAND Corporation den Ausschlag gegeben haben mag, ein Resumée zu ziehen und eine neue Strategie zu skizzieren.
Diese hier im Video vorgestellte Hyperschallrakete Zirkon ist so schnell, dass sie auch für die modernsten Luftabwehrsysteme praktisch nicht zu erreichen ist. Und das Schiff ist dank eines Kompositmaterials kaum im Atlantik per Radar zu orten. Es verfügt über ein paar technische Möglichkeiten, die die USA bisher anscheinend nicht haben. Es ist in der Lage, von See aus größere US-Amerikanische Städte bis zu 800 Kilometer ins Landesinnere auszuradieren. Auch mit atomaren Sprengköpfen. Läge im Ernstfall die „Admiral Gorschkow“ vor der Deutschen Küste in der Ostsee, könnte sie innerhalb von Minuten München ausradieren.
Gab sich RAND im letzten Lagebericht noch überzeugt, dass die USA die Fäden in der Hand halten und Russland langsam aber druckvoll über seine Kapazitäten hinaus belasten können, bis es zusammen bricht („Extending Russia“), schlägt man jetzt ganz andere Töne an: “Avoiding a Long War” ist nun die Überschrift des neuen Strategiepapiers, und es enthält eine deutliche Warnung, beleuchtet die Risiken des Abnutzungskrieges um und in der Ukraine und stellt fest, dass die Gefahr eines Atomkrieges kontinuierlich wächst.
Die erfolgreiche Zielübung vor der US-Ostküste mit den Zirkon-Raketen, die seegestützt etwa 800 bis 900 Kilometer weit, landgestützt bis zu 1500 Kilometer weit und während des Fluges korrigierbar mit Hyperschall zielgenau ihre Bestimmung treffen, dürfte der Sorgen vor einem Atomkrieg in den USA noch etwas Nachdruck verliehen haben. Denn hier geht es nicht um vergleichsweise „gemächlich“ auf langer Strecke herankommenden Interkontinentalraketen, auch nicht um Bomber, die man noch mit der Flugabwehr abfangen kann – sondern um Raketen die in wenigen Minuten mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit ins Ziel kommen und so gut wie gar nicht abgefangen werden können.
Und nun, rein zufällig nach dieser Vorführung oder auch nicht, ändert die RAND Corporation fast sofort danach ihre Lageeinschätzung von „Russland bis zum Zusammenbruch überdehnen“ in „einen langen Krieg vermeiden“. Eine ziemlich krasse Kehrtwendung. Und noch ein sehr wichtiger Satz taucht so nebenbei in der RAND-Analyse auf (fett gestellt):
Die Diskussion über den Russland-Ukraine-Krieg in Washington wird zunehmend von der Frage beherrscht, wie er enden könnte. Um dieser Diskussion eine Grundlage zu geben, werden in dieser Perspektive Wege aufgezeigt, wie sich der Krieg entwickeln könnte und wie sich alternative Verläufe auf die Interessen der USA auswirken würden. Die Autoren argumentieren, dass es den Interessen der USA am besten dienen würde, einen langwierigen Konflikt zu vermeiden und gleichzeitig die Risiken einer größeren Eskalation zu minimieren. … Der Krieg in der Ukraine erschwert den USA die Konzentration auf ihre Bemühungen, sich auf einen künftigen Konflikt mit China vorzubereiten. Die Fähigkeit der USA, sich auf ihre anderen globalen Prioritäten – insbesondere den Wettbewerb mit China – zu konzentrieren, wird eingeschränkt bleiben, solange der Krieg die Zeit hochrangiger politischer Entscheidungsträger und die militärischen Ressourcen der USA in Anspruch nimmt.
Daher weht der Wind – und das nicht überraschend. Der eigentliche Rivale um die Position als Weltmacht Nummer 1, mächtigstes Militär, größte Wirtschaftsmacht, Eigentümer der Weltreservewährung und Beherrscher der Weltmeere ist ja gar nicht Russland, sondern China. Der ganze Zauber mit der Ukraine versus Russland läuft offenbar nicht, wie geplant. Die Möglichkeit, Russland im Inneren wie im Äußeren zusammenbrechen zu lassen, ist nicht eingetreten. Der Plan, in Moskau einen „zweiten Boris Jelzin“ als US-Marionetten-Präsidenten zu installieren ist gescheitert.
Findet die USA nicht bald den Absprung, könnte nach Vietnam und Afghanistan die Ukraine die nächste, üble Schlappe werden. Und um mit China in den Ring zu steigen, müssen die USA alle ihre Kräfte mobilisieren. Und selbst das würde sehr schwer werden.
So bemängeln die Republikaner in den USA ja schon heftig den Ausverkauf des US-Waffenarsenals, es gibt kaum noch Javelin- und Stinger-Missiles. Die Produktion von 13 Jahren ist in nur zehn Monaten komplett in der Ukraine verheizt worden, es gibt kaum noch Munition, die Army hat Mühe, überhaupt noch brauchbare Rekruten zur Ausbildung zu finden, die tauglich sind. Keine idealen Voraussetzungen um mit China einen Kampf auf Leben und Tod zu beginnen.
Foreign Policy berichtet, dass NATO-Beamte über diese Engpässe sehr besorgt sind. Selbst der Neokonservative Frederick Kagan gibt zu, dass die NATO auf einen Konflikt wie den in der Ukraine nicht vorbereitet ist. „Die NATO plant nicht wirklich, Kriege wie diesen zu führen, und damit meine ich Kriege mit einem sehr intensiven Einsatz von Artilleriesystemen und vielen Panzern und Geschützen“, sagte Kagan gegenüber Foreign Policy. „Wir waren von vornherein nicht für diese Art von Krieg gerüstet“.
Die Deutschen Wirtschafts-Nachrichten melden, dass:
Ein Vier-Sterne-General der US-Luftwaffe erwartet, dass der Konflikt um Taiwan im Jahr 2025 zu einem Krieg der USA mit China führen wird. Tatsächlich deutet einiges darauf hin.
Der General der US-Luftwaffe Mike Minihan, Chef des US Air Mobility Command, geht davon aus, dass die USA und China im Jahr 2025 wahrscheinlich gegeneinander Krieg führen werden. Grund und Anlass dazu werde Taiwan sein. Interessanterweise ist es eine sehr ähnliche Konstellation, wie bei der Ukraine. Die gehörte einmal zur Sowjetunion und die USA nimmt hier die Rolle des Ritters in der silbernen Rüstung zur Verteidigung der freien Ukraine gegen den Aggressor ein – und wird das bei Taiwan, das einst Formosa hieß und zu China gehörte, genauso wieder tun. Militärübungen der US-Streitkräfte zusammen mit Taiwan in dessen Hoheitsgebiet wurden ja schon abgehalten. Noch weitere hohe Militärs sprechen von einem Krieg mit China in den nächsten drei Jahren;
Im März 2021 sagte Admiral Philip Davidson, der damalige Chef des US-Kommandos für den Indopazifik, dass China Taiwan bis 2027 angreifen könnte. Im vergangenen Oktober erklärte Admiral Michael Gilday, Chef der US-Marine, das Pentagon müsse jederzeit auf militärische Maßnahmen vorbereitet sein. „Wenn wir über das Zeitfenster 2027 sprechen, muss es sich meiner Meinung nach um ein Zeitfenster 2022 oder möglicherweise 2023 handeln“, sagte Gilday gegenüber dem Atlantic Council.
Daher scheint die neue Devise zu heißen: Besser jetzt raus mit Schaden als wirklich Alles aufs Spiel zu setzen. Das Risiko eines langen Krieges in der Ukraine bestehe laut der RAND Corporation darin, dass die Gefahr eines russischen Atomwaffeneinsatzes und eines länger dauernden NATO-Russlandkrieges stetig wächst. Diese beiden Eskalationen gelte es unbedingt zu vermeiden. Denn dann könnte natürlich China eine geschwächtes, schlecht ausgerüstetes und erschöpfte USA leicht aus dem gesamten, eurasischen Raum und aus Ostasien vertreiben. Sogar die amerikanische Dominanz über das südchinesische Meer, eine der wichtigsten Seehandelsrouten der Welt, wäre dann verloren.
Überdies stellt sich jetzt sowieso die Frage, was in der Ukraine noch zu gewinnen ist. Russlands Wirtschaft zeigt sich als sehr resilient. Mehr, als die Reservisten hat Russland noch nicht einberufen. Die Ukraine dagegen zwangsrekrutiert alles was männlich und auf der Straße ist von 18-jährigen bis zu 65-jährigen und verheizt die armen Kerle an der Front.
Die Rand Analyse ist nun zu dem Ergebnis gekommen, dass die Rückeroberung der von den Russen jetzt besetzten Gebiete den USA eigentlich kaum Vorteile brächte. Die Bevölkerungen der Lugansker und Donezker Volksrepubliken sind ethnische Russen und würden das nicht friedlich hinnehmen, der Krieg würden nicht dadurch enden. Das Risiko einen langen Krieges mit verheerenden Folgen wiege da wesentlich schwerer, sagt das RAND-Papier. Man solle nun die Ukraine zu Verhandlungen drängen – und ansonsten keine weitere Militärhilfe mehr leisten. Überdies könne man dann Russland auch Bedingungen für die Aufhebung von Sanktionen diktieren.
Die Empfehlung, die die Rand-Analyse gibt, heißt daher – frei übersetzt – dass die USA jetzt zwar keine sofortige Kehrtwende ohne Gesichtsverlust machen können, aber sich nun doch in Richtung Verhandlung zur möglichst für sie „vorteilhaften“ Beilegung des Konfliktes bewegen sollten. Und das auch der Ukraine beibiegen müssen, um noch rechtzeitig aus der Sache herauszukommen:
Ein „dramatischer Wandel“ der US-Politik gegenüber der Ukraine ist unwahrscheinlich. (…) Aber die Entwicklung dieser (oben genannten) Möglichkeiten – und deren Vertraut-Machen mit der Ukraine und den Verbündeten der USA – könnte dazu beitragen, einen Prozess in Gang zu setzen, der diesen Krieg in einem Zeitrahmen, der den Interessen der USA entspricht, auf dem Verhandlungswege beenden könnte.
Schön ausgedrückt. Doch die Ukraine liegt zu großen Teilen zerstört am Boden. Unzählige Ukrainer und unzählige Russen haben diesen Krieg jetzt schon mit ihrem Leben bezahlt. Die Europäer wollen überhaupt keinen Krieg mit Russland, weil alle wissen, dass Europa dabei mit unter die Räder kommt und weil wir Nachbarn von und mit Russland sind. Wir wollen alle Frieden in Europa. Jeder, der in diesem Krieg sein Leben lässt, egal von welcher Seite ist ein bedauernswertes Opfer. Über 90 Prozent der Deutschen sind absolut gegen die Panzerlieferung und einen Krieg – und Kanzler Scholz weiß das. Der Ruf „ICH bin nicht im Krieg gegen Russland!!!“ (als Replik auf Außenminister Baerbocks unfassbar dummen Spruch) geht durch die sozialen Medien. Das Vertrauen der „Verbündeten“ in die USA ist schon arg angekratzt. Es wäre in der Tat dringend geboten, dem irren Schlachten Einhalt zu gebieten.
Es wird sehr wahrscheinlich so bald keinen echten Frieden mehr geben. Bereitet Euch vor. Den Bürgern Taiwans steht Übles bevor. Für uns in Europa könnte ein Verhandlungsfrieden die Möglichkeit eröffnen, einigermaßen davonzukommen und vielleicht doch nicht zum Schlachtfeld der USA gegen die Russische Konföderation plus das riesige China zu werden.